Kommentare aus der AMAZONAS-Box
Politik und Technik aus München - Pazifistisch
mit dem Fahrrad (Peace, cycling and more)

Irak: die Besatzung bekämpfen, nicht die Menschen ...

Mittwoch, 9.3.2005    

Eigentlich dachte ich es steht schon beim Friedensratschlag, aber die E-mail-Rundsendung war schneller, und ich warte nicht erst ab:

Peter Strutynski hat aufgepaßt: Die Junge Welt, ein auch hier oft nutzbringend zitiertes linkes Blatt, hat einen häßlichen Ausreißer geboten. K. von Raussendorff läßt dort anläßlich der kommenden "Irak-Konferenz" (Link ist down einen Rundschlag (JW, 8.3.2005) los, der die meisten Friedensbewegten saudumm vor den Kopf stoßen muß.

Peter hat reagiert, und da dies ausdrücklich in einem offenen Brief schreibt, gebe ich den hier ganz wieder, weil er dies angemessen trifft. Nochwas von mir zu von Raussendorff: Natürlich ist nicht alles was er schreibt falsch (auch muß man nicht jede Silbe von Peter unterschreiben ;-) ), darum geht es nicht; umso wichtiger ist es, genauer hinzuschauen, also:

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Stellungnahme zum Artikel von v. Raussendorff: Siegt Bush in Babylon?
(jW, 08.03.05) - Gleichzeitig Offener Brief an die Irak-Konferenz
 
Was mag wohl den (Mit-)Organisator einer Konferenz dazu veranlassen, im Vorfeld jene Kreise zu beschimpfen, die noch am ehesten als Publikum für die Konferenz in Frage kommen? Klaus v. Raussendorff weiß es womöglich selber nicht oder es ist ihm völlig egal. Jedenfalls erweist er der Konferenz damit einen Bärendienst.
 
Das ist umso bedauerlicher, als es um das Thema Irak geht. Auf einer Konferenz in Berlin soll über die Situation im besetzten Land informiert und über den Widerstand gegen die Besatzer diskutiert werden. Ein wichtiges Unterfangen, zumal wenn man sieht, dass das Thema wieder weitgehend aus dem Blickfeld der breiten Öffentlichkeit verschwunden ist. Der Artikel von K.v.R. ist indessen nicht geeignet, an dieser Situation etwas zu ändern. Im Gegenteil. Gerade der Friedensbewegung, die vor zwei Jahren massenhafte Proteste gegen den - damals drohenden - Krieg organisierte, wird vorgeworfen, der herrschenden politischen Klasse mittlerweile auf den Leim gegangen zu sein, indem sie der pauschalen Diffamierung des irakischen Widerstands als "Saddam-Anhänger, islamische Fanatiker und ausländische Terroristen" Glauben schenke und dem Widerstand die "Anerkennung als fortschrittlicher Faktor der Weltpolitik verweigert" habe.
 
Ich kann selbstverständlich nicht für "die" Friedensbewegung sprechen, ich meine aber die Position relevanter Teile der Friedensbewegung recht gut zu kennen. Diese haben ihren "Frieden" mit den Aggressoren und Besatzern mitnichten gemacht, sondern beharren bis zum heutigen Tag auf den zentralen Forderungen: Abzug der ausländischen Besatzungstruppen, Übertragung der vollen Souveränitätsrechte an das irakische Volk, Bewahrung der territorialen Integrität und staatlichen Einheit, Reparationszahlungen von Seiten der "Alliierten" zum Wiederaufbau des Landes, Durchführung freier, gleicher und geheimer Wahlen unter Aufsicht neutraler internationaler Beobachter. Bei verschiedenen Anlässen hat die Friedensbewegung ihre Kritik an der fortgesetzten Besatzung sowie an den sich häufenden Kriegsverbrechen (von Folter bis zu unterschiedslosen Bombardierungen von Wohnbezirken, z.B. Falludscha) deutlich gemacht. Dies war zuletzt auch der Tenor bei den Protesten gegen den Bush-Besuch in Mainz.
 
Eines wird man der Friedensbewegung aber nicht verbieten können: So sehr sie in ihrem Engagement gegen Krieg und Besatzung die von den Aggressoren begangenen Verletzungen des Völkerrechts und des humanitären Kriegsvölkerrechts (Genfer Konventionen) anprangert, so wenig darf sie die Augen vor ähnlichen Verbrechen auf der anderen Seite verschließen. Mit einem alles entschuldigenden "Es gibt keinen sauberen Krieg" ist es nicht getan. Vielmehr muss auch die bewusste Tötung unbeteiligter Zivilpersonen, von Frauen und Kindern durch angebliche "Widerstandskämpfer" als das bezeichnet werden, was es ist: als gemeines Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Wer darüber den Mantel einer beschworenen Einheit der "antiimperialistischen" Kräfte hüllt, indem er kurzer Hand "politische Differenzen" in der "Bewertung der verschiedenen Widerstandsformen" gelten lässt, hat nicht begriffen, dass das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit universelle Gültigkeit hat. Man kann es im einen Fall - gegenüber den Kriegstreibern aus den USA - nicht lautstark einklagen, im anderen Fall aber - bei Terroranschlägen auf Zivilpersonen - achselzuckend (oder sogar augenzwinkernd) darüber hinweg gehen, auch wenn die Größenordnungen total unterschiedlich sind. Verbrechen gegen die Menschlichkeit taugen nun einmal nicht zum gegenseitigen Aufrechnen.
 
Vielleicht ist meine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem jW-Artikel aber auch verlorene Liebesmühe. Offenbar hatte sein Autor gar nicht die Absicht, um Standpunkte in der Friedensbewegung zu ringen. Zwar findet er es "bedauerlich", dass "Teile der Antikriegsbewegung" in die "Falle" der herrschenden Propaganda getreten seien, "überraschend" sei das aber nicht. Gewiss: Wer die einzige "antiimperialistische" Wahrheit, die dem Prinzip folgt, "der Feind meines Feindes ist mein Freund", für sich gepachtet hat, dem kommt der diagnostizierte "bürgerliche Pazifismus" (igitt!) gleichsam als self-fulfilling prophecy gerade recht. Ich wollte mich dennoch zu Wort melden, weil mir der weltweite Widerstand gegen Krieg und Besatzung (auch hier zu Lande etwa in Form einer konsequenten Haltung gegenüber der Militarisierung der Außenpolitik und der Komplizenschaft mit der US-Regierung) ein viel zu wichtiges Anliegen ist, als es einem selbsternannten Oberlehrer zu überlassen.
 
Peter Strutynski, Kassel

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Übrigens, die Gäste, die zur Zeit auf einer friedensbewegt organisierten Reise in Deutschland über das Massaker gegen Falludja berichten (und auch hier in München waren), haben sehr klar zwischen Gegenwehr gegen die Besatzung und die Attentate gegen die Bevölkerung unterschieden - die Anschläge gegen die Kirchen oder Moscheen usw. gab es beispielsweise früher nicht ...
Sie machten auch klar, wie sehr die Besatzung Terrorismus ist, und eben keine Sicherheit bieten kann und wird und nicht zu rechtfertigen ist ...